Selbstgesteuertes Lernen im Schulunterricht umsetzen

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Die Förderung von Kompetenzen für das zielgerichtete und effektive Lernen ist an vielen Schulen ein zunehmend wichtiges Ziel. Insbesondere Fähigkeiten zum selbstgesteuerten Lernen werden als wichtige Kompetenz für die Zukunft der Schüler:innen betrachtet. In unseren Forschungsprojekten und Weiterbildungen stellen wir immer wieder fest, dass diese Fähigkeiten keinesfalls vorausgesetzt werden können, sondern vielmehr gezielt unterstützt werden müssen. Dazu bieten Schulen entweder eigene Unterrichtsfächer – z. B. unter mit dem Titel „Lernen lernen“ – an oder geben den Schüler:innen direkt im Fachunterricht Hilfestellungen und Anregungen.

In der Bildungswissenschaft werden zwei Unterstützungsansätze unterschieden: die direkte Förderung durch konkrete Lernangebote – wie im Unterrichtsfach „Lernen lernen“ – und die indirekte Förderung durch den Einsatz von Methoden im Fachunterricht, die den Schüler:innen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten über didaktisch-methodische Merkmale (sogenannte Dimensionen) des Lernprozesses bieten.

Abb. Unterscheidung von Methoden zur Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens (Auszug aus dem Lernmaterial der Weiterbildung)

In unseren Weiterbildungsangeboten geben wir Lehrkräften Anregungen und begleiten sie dabei, eigene Unterrichtskonzepte mit Elementen des selbstgesteuerten Lernens zu planen und umzusetzen. Dabei überraschen uns die Lehrkräfte immer wieder mit der Kreativität und Vielfalt ihrer Umsetzungsideen. Im Mai haben wir in einem Blog-Beitrag gelungene Umsetzungsbeispiele aus einer kürzlichen Weiterbildung von Lehrkräften in Ostbelgien vorgestellt, die von Dezember 2022 bis Mai 2023 lief. Bereits kurz danach erhielten wir Anfragen, ob wir weitere Beispiele teilen und als Inspiration für andere Lehrkräfte zur Verfügung stellen können. Diesem Wunsch kommen wir gern nach und stellen einige Auszüge aus Unterrichtskonzepten mit Selbststeuerungsmöglichkeiten vor, die 2021 in einer Weiterbildung von Lehrkräften aus ostbelgischen Sekundarschulen erarbeitet wurden und aus unserer Sicht besonders gut gelungen sind.

Beispiele aus Konzepten, die den Schüler:innen Wahlmöglichkeiten bei den Lerninhalten und Materialien ermöglichen:

  • Zum Thema „Reime und rhetorische Mittel“ erhielten die Schüler:innen unterschiedliche Materialien (z. B. Erklärvideos und Texte), die sie durch selbst recherchierte Materialien ergänzen und aus denen sie selbst wählen konnten, wie sie sich die theoretischen Grundlagen erarbeiten möchten. Anschließend nutzten sie ihre Ausarbeitung, um ein selbst gewähltes Gedicht zu analysieren.
  • Für die Bearbeitung des Themas „Evolution“ durften die Schüler:innen selbst auswählen, an welchem Lebewesen sie die Theorie der Evolution beispielhaft demonstrieren möchten. Zum Abschluss wurden alle Arbeiten der Schüler:innen in einem gemeinsam entwickelten Brettspiel zusammengeführt.
  • Im Rahmen einer Projektarbeit zum Thema „Minderheiten“ erstellten die Schüler:innen eine Werbekampagne mit Plakaten, um auf eine selbst gewählte Gruppe von benachteiligten Menschen aufmerksam zu machen.

    Eine grün gestrichene Wand, darauf befestigt sind zwei Plakate, die sich mit dem Thema Toleranz ggü. Minderheiten beschäftigen
    Bildunterschrift: Ausstellung der von den Schüler:innen erstellten Poster im Schulhaus (Foto: Jérôme Girkes).

Beispiele aus Konzepten, die eine Lernbegleitung und -beratung integrieren:

  • In einer Klasse wurden feste „Sprechzeiten“ (wie z. B. am Donnerstag jeder Woche) für individuelle Lerngespräche mit der Lehrkraft eingeführt.
  • Im Fach Deutsch stellte eine Lehrkraft Selbsteinschätzungsbögen zur Verfügung, mit denen die Schüler:innen ihre eigenen Stärken und Schwächen einschätzen. Sie können mit dem Rahmenplan abgeglichen werden. Auf Basis ihrer Einschätzungen formulierten die Schüler:innen zunächst ihre eigenen Lernziele. Anschließend erhielten sie in einem Beratungsgespräch dazu Feedback von der Lehrkraft und planten mit ihrer Begleitung ihren Lernweg.
  • Eine Lehrkraft stellte den Schüler:innen für jeden Arbeitsauftrag und jede Übung Möglichkeiten zur Selbstreflexion nach Abschluss der Aufgabe bereit. Abhängig vom Ergebnis der Selbsteinschätzung erhielten die Schüler:innen Empfehlungen zur Nutzung von zusätzlichen Materialien, um ihren Lernbedarfen gezielt zu begegnen oder ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vertiefen.
  • Eine Lehrkraft regte ihre Schüler:innen dazu an, eigene Lerntagebücher zu führen, in denen sie ihre Erfahrungen und Fortschritte beim Lernen dokumentierten und reflektierten.
Abb. Unterstützung der Reflexion als Aufgabe der Lehrenden in ihrer Rolle als Lernbegleitung und -beratung (Auszug aus dem Lernmaterial der Weiterbildung)

Beispiele für Konzepte, die didaktischen Prinzipien zur Anregung von selbstgesteuerten Lernprozessen folgten:

  • In dem eine Lehrkraft ihr Fachthema u. a. in Form eines Osterhasen-Rennens, eines Domino-Spiels und eines Suchsels aufbereitete, regte sie ihre Schüler:innen zum spielerischen Lernen
  • Eine Lehrkraft förderte das entdeckende Lernen, indem sie im Biologieunterricht eine Stationsarbeit plante und umsetzte, in der die Schüler:innen die fünf Sinne mit Hilfe von kleinen Experimenten selbst erkunden und ihre Erfahrungen dokumentieren konnten.
  • Um soziales Lernen zu ermöglichen, leitete eine Lehrkraft durch einen Leittext gezielt Team- und Gruppenaktivitäten an.
Umsetzung von Lernstationen für das entdeckende Lernen im Biologie-Unterricht (Foto: Sandrine Bindels)

Beispiele für Konzepte, die Methoden zur indirekten Förderung des selbstgesteuerten Lernens anwendeten:

  • Eine Lehrkraft bereitete für ihre Schüler:innen einen Webquest vor, anhand dessen sie in einer angeleiteten Internetrecherche Kenntnisse zum Thema Elektrochemie erwarben.
  • Um selbst eine Antwort auf die Frage „Darf man mit 13 Jahren schon Sex haben?“ zu finden, stellte eine Lehrkraft ihrer Klasse eine umfangreiche Materialsammlung als Lernquellenpool zur Verfügung.

Die Auswahl der Beispiele macht deutlich, dass die Lehrkräfte Konzepte für viele verschiedene Unterrichtsfächer entwickelten. Bei ihrer Umsetzung waren für sie ebenso wie für die Schüler:innen viele Aspekte und Vorgänge zunächst ungewohnt. Am Ende waren aber alle Lehrkräfte mit ihren Pilotierungen zufrieden, wollten die Konzepte weiterentwickeln und auch für andere Klassenstufen und Fächer anpassen. Wir haben uns über diese positive Resonanz der Lehrkräfte sehr gefreut – auch da ihre Herangehensweisen und dabei gesammelten Erfahrungen zeigen, dass die wissenschaftlich erarbeiteten und in einem Handbuch und einer Methodensammlung zusammengetragenen Inhalte und Handlungsempfehlungen für die Anwendung in der Praxis geeignet sind.

Die Weiterbildung wurde durchgeführt als Projekt der GWT-TUD GmbH.

Weiterführende Literatur:

Dyrna, J., Riedel, J., & Stark, L. (2022). Welche Kompetenzen benötigen Lernende fürselbstgesteuertes, digital gestütztes Lernen? Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 51, 18–22.

Riedel, J. (2021). Methoden zur direkten und indirekten Förderung des selbstgesteuerten Lernens. In J. Dyrna, J. Riedel, S. Schulze-Achatz, & T. Köhler, Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Weiterbildung: Ein Handbuch für Theorie und Praxis (S. 175–190). Waxmann.

Riedel, J., & Möbius, K. (2021). Zehn Prinzipien für erfolgreiches selbstgesteuertes Lernen. In J. Dyrna, J. Riedel, S. Schulze-Achatz, & T. Köhler, Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Weiterbildung: Ein Handbuch für Theorie und Praxis (S. 130–143). Waxmann.

 

Autor*innen: Jonathan Dyrna, Michelle Pippig, Jana Riedel
selbstgesteuertes-lernen.de

Josephine Obert

Technische Mitarbeiterin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit am CODIP - TU Dresden.

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