Dresden aus historischen Perspektiven – ein 4D-Stadtmodell zum virtuellen Erkunden
Haben Sie sich auch einmal gefragt wie sich (Stadt-)Fotografie im Laufe der Zeit gewandelt hat? Wurde das Kronentor Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise öfter oder aus anderen Perspektiven fotografiert als zur Zeit der DDR?
Auf diese Fragen können Sie hier Antworten finden: Die Nachwuchsforschungsgruppe HistStadt4D, ein Zusammenschluss von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Dresden und der Universität Würzburg, erarbeitet hierzu eine digitale Online-Anwendung, einen sogenannten 4D-Browser (Abb. 1). Dieses frei zugängliche Tool umfasst ein virtuelles dreidimensionales (3D) Stadtmodell von Dresden. User*innen können sich darin frei bewegen und Dresden aus beliebigen Perspektiven erkunden. Entwickelt wird der 4D-Browser insbesondere für Kunst- und Architekturhistoriker*innen und Historiker*innen sowie für alle, die sich für historische Fotografien und Stadtgeschichte interessieren.
Abb. 1 Digitales 3D-Stadtmodell von Dresden im 4D-Browser.
Eine Besonderheit ist, dass hunderte historische Fotografien im Stadtmodell verortet sind (Abb. 1). Das bedeutet, dass von diesen historischen Aufnahmen der genaue Kamerastandpunkt – also die Position des Fotografen – bestimmt wurde. Beim Öffnen der Webseite befinden sich die Fotografien in mehreren Clustern, um die Übersicht zu gewährleisten. Beim Hineinzoomen an ein Gebäude werden die einzelnen Fotos sichtbar. Bei einem Doppelklick auf eine Aufnahme wird der*die User*in an den jeweiligen Standpunkt gezoomt. Mit dem Regler ‚Image Opacity‘ wird die Fotografie durchscheinend und das dahinter liegende 3D Modell hilft bei der Identifikation der abgebildeten Gebäude (Abb. 2). Eine von vier historischen Karten kann für eine bessere Orientierung eingeblendet werden (siehe grüne Marker auf der Zeitleiste unterhalb des 3D Fensters in Abb. 1, zum Ausschalten der Karte ein 2. Mal auf den aktiven Marker klicken). Damit lässt sich auf einen Blick erkennen, wie das Straßennetz und die Bebauung in Dresden einst ausgesehen haben. Auch die damaligen Straßennamen sind lesbar.
Abb. 2 Halbtransparente, historische Fotografie an ihrem Aufnahmestandort mit dahinterliegendem 3D-Modell.
Die als 3D-Modelle dargestellten Gebäude ermöglichen es auch, nach bestimmten Fotos zu filtern. Über einen Klick mit der rechten Maustaste auf das Bauwerk öffnet sich das entsprechende Menü. Beim Verorten der Fotografien an ihrem Aufnahmestandpunkt wurden die Fotos mit dem 3D-Modell verschnitten, somit können sie nun schnell und einfach mit Hilfe des 3D-Modells gefunden werden. Bei der Suche in altbewährten digitalen Bildrepositorien ist man in diesem Fall immer darauf angewiesen, dass der eingegebene Suchbegriff genauso in den Bildinformationen (Metadaten) steht.
Um die Anwendung und ihre Funktionalitäten entsprechend testen zu können, sind aktuell 3626 Fotografien in der Plattform integriert, wovon ca. 700 manuell verortet wurden. Ein Forschungsschwerpunkt ist die automatische Verortung dieser Aufnahmen mittels photogrammetrischer Methoden und befindet sich gerade in der Testphase. Alle Fotos stammen aus dem Archiv der Deutschen Fotothek und datieren vom Beginn der Fotografie um 1820 bis heute. Die Deutsche Fotothek bietet noch weitere interessante Fotos von Dresden und natürlich umfasst dieses eine Archiv nicht alle Fotografien, die jemals von Dresden aufgenommen wurden. Insofern ist in dem digitalen 3D-Modell aktuell nur ein Teil der Fotografien der Stadt zu sehen.
Um einen tieferen Einblick in frühere Zeiten in Dresden zu bekommen, bietet die Anwendung eine Zeitleiste, die man unterhalb des 3D-Fensters findet. Die Komponente der Zeit als vierte Dimension macht aus dem 3D-Stadtmodell ein 4D-Stadtmodell. Durch Verschieben der zwei orangefarbenen Regler auf der Zeitleiste kann ein beliebiges Zeitfenster für weiteres Filtern eingestellt werden. Sodann sind im Stadtmodell nur noch Fotos aus diesem ausgewählten Zeitraum zu sehen. Diese Funktion eignet sich damit hervorragend zum Filtern der Hunderte von Fotografien im 4D-Browser. Auf der rechten Seite werden die (gefilterten) Fotos mitsamt kurzer Informationen (Titel, Fotograf, Jahr) aufgelistet.
Die Zeitleiste kann aber noch mehr! Verschiebt man den blauen Regler, so werden Bauwerke entsprechend des gewählten Zeitpunktes dargestellt. Wenn zu dem ausgewählten Zeitpunkt ein Gebäude nicht mehr existiert hat, dann verschwindet es auch aus dem 3D-Modell (Abb. 3). So bekommt man schnell einen Überblick über die Veränderung der Stadt und ihrer Bauwerke im Laufe der Zeit.
Abb. 3 4D-Stadtmodell von Dresden mit Bauzustand 1930 (links) und 2004 (rechts).
Aber wie findet man nun heraus, aus welchen Perspektiven das Kronentor am häufigsten fotografiert wurde und in welchem Zeitraum viele oder wenige Fotos gemacht wurden? Die Funktion ‚Toggle Visualizations‘ (siehe untere rechte Ecke vom 3D Fenster) verspricht Antworten. Wenn aus der dort angebotenen Liste beispielsweise die Heatmap ausgewählt wird, erscheint unter dem 3D-Stadtmodell ein Farbverlauf (Abb. 4). In den roten Bereichen wurden viele Fotografien aufgenommen, in den orangefarbenen etwas weniger. Je mehr die Einfärbung von gelb über grün zu blau übergeht, desto weniger Fotos wurden in diesen Bereichen geschossen. Auf diese Weise ist leicht erkennbar, wo sich Fotografen*innen einst öfter aufhielten um ein Foto von einem bestimmten Bauwerk zu machen und wo eher selten. Wenn zusätzlich zu dieser Farbvisualisierung auch die Regler in der Zeitleiste verschoben werden, kann beobachtet werden, ob sich das Verhalten der Fotografen*innen im Laufe der Zeit verändert hat. In den anderen Varianten der Visualisierungen stehen die Aufnahmerichtungen und Blickwinkel im Fokus.
Abb. 4 Farbvisualiserung anhand einer Heatmap, um Häufigkeit von Fotografen anzuzeigen (rot-blau / mehr-weniger), digitales 3D-Stadtmodell von Dresden im 4D-Browser.
Um auch wirklich sicher zu stellen, dass die Anwendung den Nutzer*innen einen Mehrwert bietet, führen wir Usability-Tests durch. Unser Ziel ist es, mit diesen Nutzerstudien herauszufinden, welche Funktionen erfolgreich genutzt werden und wo es Schwierigkeiten gibt. Ergebnisse waren beispielsweise Verbesserungsvorschläge der Nutzer*innen für das Interface und der Wunsch nach einer Facettensuche (eine Facettensuche umfasst eine vorgegebene Klassifizierung nach Auswahlkriterien wie z.B. Fotograf, Ort, Bildgröße etc., sodass die Suchergebnisse dadurch eingegrenzt werden können). Alle Anmerkungen haben wir gesammelt und nach Prioritäten geordnet. In einem nächsten Schritt wollen wir mit Hilfe von Paper Prototyping das Interface überarbeiten. Hierfür werden uns Kolleg*innen aus dem Cluster Usability (UX) am Medienzentrum unterstützen.
Haben Sie auch Lust bekommen, Dresden aus neuen – besser gesagt historischen – Blickwinkeln zu entdecken?
Viel Vergnügen beim virtuellen Erkunden unter: http://4dbrowser.urbanhistory4d.org/
Website der Nachwuchsforschungsgruppe HistStadt4D: http://www.urbanhistory4d.org/
Das Vorhaben wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UG1630.
Fotonachweis der historischen Fotografien: SLUB/Deutsche Fotothek
Bildschirmfotos: HistStadt4D 2020
Projektmitarbeitende und Autor:innen dieses Beitrags: Heike Messemer, Cindy Kröber, Ferdinand Maiwald, Jonas Bruschke
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