Digitalisierung im Wandel der Stand-Land-Verflechtungen

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Stadt und Land werden oft als Gegensatzpaar begriffen. Stadtleben wird gemeinhin verbunden mit Vorstellungen von sozialer Dichte, wirtschaftlicher Dynamik und gesellschaftlicher Innovation. Während ländliche Räume einerseits romantische Vorstellungen von Ruhe, Entschleunigung und Traditionalität wecken, werden sie andererseits oft auch als strukturschwach, überaltert und rückständig wahrgenommen. In der Wirklichkeit sind die Lebenswelten von Menschen in Stadt und Land miteinander verflochten und sind Räume auf vielfältige Arten miteinander verbunden. Der demografische Wandel und die zunehmende Urbanisierung haben in den vergangenen Jahrzehnten jedoch zu einer zunehmenden Diskrepanz in den Entwicklungs- und Teilhabenchancen zwischen Stadt und Land beigetragen. Oft sind der Zugang zu Ressourcen, die Verfügbarkeit öffentlicher Infrastrukturen und gesellschaftliche Teilhabechancen ungleich über Regionen verteilt. Um diese Entwicklungsunterschiede zu adressieren und dem Anspruch der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in verschiedenen räumlichen Gebieten gerecht zu werden müssen neue Konzepte zum Ausgleich verschiedener Ungleichheiten zwischen Stadt und Land erarbeitet werden. Für Regionen bedeutet dies, dass eine integrierte Entwicklung nur gelingen kann, wenn diese Ungleichheiten und daraus resultierende Ungerechtigkeiten über die verschiedenen Raumformen hinweg adressiert und gemeinsame Lösungen gefunden werden.

Das BMBF-Projekt ReGerecht – Regionale Gerechtigkeit: Integrative Entwicklung eines gerechten Interessensausgleichs zwischen Stadt, städtischem Umland und ländlichem Raum geht der Frage nach, wie eine integrierte Entwicklung zwischen Stadt, Stadtumland und ländlichem Raum gelingen kann, wenn sie auf der Basis von Gerechtigkeit, Ausgleich und Kooperation basiert. Dabei geht es um verschiedene Themenfelder wie Siedlungsentwicklung und Freiflächensicherung, indirekte Veränderungen von Standortqualitäten, den Breitbandausbau und die umfassenden Digitalisierungsbemühungen sowie die mögliche Vernetzung von Energieproduktion und Energieverbrauch. Das Arbeitspaket Digitalisierung beschäftigt sich mit der Frage, wie die digitale Transformation einen gerechten Interessensausgleich zwischen Stadt und Land begünstigen kann.

Digitalisierung ist mehr als Technik und Infrastruktur

Digitale Technologien sind die Basis unserer heutigen zivilisatorischen Revolution. Infrastrukturen, die den Zugang zu digitaler Technologie ermöglichen, sind die Voraussetzung an dieser Revolution teilhaben zu können. Digitalisierung geht allerdings weit über Infrastruktur und Technik hinaus. Die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Informationen und Wissen und Entwicklungen wie das Internet der Dinge (IoT), Smart Cities und deren ländliches Gegenstück Smart Country eröffnen ganz neue Möglichkeiten für die Lösung vieler gesellschaftlicher Herausforderungen wie etwa den Umbau von Städten und Industrien, die Energiewende, digitale Verwaltung sowie neue Formen der Mobilität. Zudem ermöglichen sie auch neue Formen gesellschaftlicher Teilhabe und Partizipation. Digitalisierung ist jedoch bei vielen Menschen auch mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Vor allem Themen wie Big Data und Datensicherheit, Künstliche Intelligenz, staatliche Überwachung oder Manipulation durch Social Media lösen Unbehagen bei Vielen aus, das nicht selten in Widerstand gegenüber Digitalisierungsprozessen im Allgemeinen umschlägt. Digitale Kompetenzen sind demnach ebenso wichtig für Teilhabechancen durch die Digitalisierung wie der Zugang zu Breitbandinternet.

Grundlegend lassen sich für Digitalisierungsprozesse vier Dimensionen unterscheiden, die je eigene Fragen der Gerechtigkeit und Teilhabe beinhalten (vgl. Abbildung 1: Dimensionen von Digitalisierung):

Abbildung 1: Dimensionen von Digitalisierung

1. Digitale Infrastrukturen

Teilhabe setzt hochwertige, flächendeckende Infrastruktur voraus. Dieser Aspekt betrifft vor allem den Ausbau von Breitbandinternet und schnelle Mobilfunknetze (LTE) in bisher unterversorgten Regionen. Der ungleiche Zugang und schleppende Ausbau dieser Infrastrukturen führt auch dazu, dass viele Regionen langfristig Wettbewerbsnachteile als Wohn-, Arbeits- oder Wirtschaftsstandort erleben. Neben solchen Infrastrukturen, die den individuellen oder behördlichen Zugang zu Internetdiensten ermöglichen, sind in diesem Zusammenhang auch jene Infrastrukturen von Bedeutung, die für die gesamtgesellschaftliche Energiewende und den Ausbau der Netze für erneuerbarer Energien notwendig sind, denn auch diese sind stark auf den Einsatz von Sensorik und smarter Steuerung angewiesen.

2. Digitaler Rechts- und Organisationsrahmen

Digitalisierung erfordert Koordinierung und Vernetzung von Akteuren und Rechtsinstrumenten. Vor allem der Umgang mit Daten spielt hier eine wichtige Rolle – insbesondere Open Data und digitale Verwaltung, Data Commons, Datenschutz und -sicherheit, Smart Technologies (insbs. IofT, Automatisierung und Sensorik) etc.

3. Digitale Teilhabe und Digital Commons

Digitalisierung schafft neue Gemeingüter und Gemeinschaftsformen, an welchen jedem Einzelnen die Teilhabe ermöglicht werden muss. Dieser Bereich berührt vor z.B. Bildung, Gesundheit, Mobilität und Kulturangebote. Aber auch Partizipation, zivilgesellschaftliches Engagement und Ehrenamt.

4. Digitale Kompetenzen

Digitalisierung erfordert von vielen Menschen den Erwerb neuer Kompetenzen, um an den Vorteilen und Möglichkeiten einer zunehmend digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt teilhaben und diese gesellschaftliche Transformation aktiv mitgestalten zu können. Die Aneignung dieser Kompetenzen muss allen Bürgern gleichermaßen ermöglicht werden, unabhängig von demografischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Wohnort oder Herkunft.

Digitalisierung und Interessensausgleich zwischen Stadt und Land

Die Lebens-, Entwicklungs- und Teilhabechancen, die sich durch die fortschreitende Digitalisierung eröffnen, sind in Deutschland räumlich stark ungleich verteilt. Die Trennung vollzieht sich noch immer vor allem zwischen Städten und ländlichen, sogenannten „strukturschwachen“ Regionen, was die Erreichung des im Grundgesetz festgesetzten Ziels der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ (Art. 72 (2)) aller Bürger vor große Herausforderungen stellt. Damit ist die Gestaltung von Prozessen der Digitalisierung ist damit eng verbunden mit Fragen nach räumlicher Gerechtigkeit und räumlich ungleichverteilten gesellschaftlichen Teilhabechancen. Bereits bestehende Spaltungen zwischen wachsenden und schrumpfenden, ökonomisch prosperierenden und „abgehängten“, überalternden und sich verjüngenden Gemeinden können dadurch noch verschärft werden, dass diese Gemeinden von der digitalen Transformation ausgeschlossen werden. Drei Themenfelder rücken dabei in den Fokus der Untersuchung: (1) die öffentlichen Daseinsvorsorge, (2) Effizienz von Politik und Verwaltung und (3) die Entwicklungschancen von Regionen.

1. Digitalisierung kann helfen, die Daseinsvorsorge vor Ort zu verbessern

Die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge ist angesichts knapper Finanzen, einer zunehmenden Abwanderung und Überalterung der ländlichen Bevölkerung noch immer ein Problem vieler ländlicher Gemeinden. Der demografische Wandel und die zunehmende Urbanisierung haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer zunehmenden Diskrepanz der Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land beigetragen. Auch beim Ausbau digitaler Infrastruktur (v.a. Breitband-Internet) zeigt sich ein deutlicher Nachholbedarf  im Land, der seit 2018 durch die Bundesförderung Breitbandausbau systematisch adressiert wird.

Ländliche, oft strukturschwache Gemeinden sind in verschiedenen Bereichen wie Mobilität, Kultur, Bildung, Gesundheit und Pflege sowie Nahversorgungsangeboten benachteiligt. Mit dem Ausbau schneller Internetverbindungen können gerade in der Daseinsvorsorge neue Technologien diese Ungleichheiten abbauen. Neue Mobilitätskonzepte, Telemedizin und digitale Bildungsangebote können neue Lösungen für diese Nachteile bieten. Die Digitalisierung kann dabei gerade ländliche Räume als Orte der Innovation stärken und Experimentierfeld für neue Technologien wie E-Government, E-Learning, Smart Technologies oder Open Data in Naturschutz und Raumplanung sein. Digitalisierung kann auch bei der Unterstützung ehrenamtlicher Mitarbeit in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die gerade in ländlichen Gemeinden oft Basis füpr die kommunale Selbstverwaltung ist, helfen. Durch Bürger*innen(mit)verwaltung werden öffentliche Güter und Dienste durch Bürger*innen mitgestaltet und mitgetragen. Sie können beispielsweise in der Informationsbeschaffung, z.B. als Mängelmelder mitwirken, können Bürgerberatung anbieten und Ämter bei z.B. Antragsvorprüfungen entlasten oder bei der Betreuung von öffentlichen Infrastrukturen einbezogen werden und so z.B. Bürgerbusse oder Pflegetransporte organisieren.

2. Digitalisierung kann Effizienz von Politik und Verwaltung verbessern

Knappe finanzielle und personelle Ressourcen in der öffentlichen Verwaltung ländlicher Gemeinden benachteiligen kleine Kommunen z.B. bei Bewerbungen in Förderprogrammen oder der Erarbeitung langfristiger Entwicklungsstrategien. Digitalisierung kann hier gerade kleine Gemeinden entlasten, wenn Ressourcen und Kompetenzen durch gemeinsam genutzte Infrastrukturen gebündelt werden können. Eine vernetzte Verwaltung dient hier der Förderung interkommunalen Austauschs und regionaler Kooperation, die auch Transparenz und aktive Bürgerbeteiligung fördern können. Voraussetzungen dafür sind offene Architekturen und Standards und die es ermöglichen Infrastrukturen über gemeinsame Schnittstellen und offene Daten zu nutzen. Open Government bedarf aber auch eines „Kulturwandels“  in der Verwaltung und muss begleitet werden durch eine Organisationsentwicklung hin zu mehr Transparenz und Offenheit von Verwaltung und Politik gegenüber Bürgern, zivilgesell. Organisationen und Unternehmen. Dieser Wandel setzt aber auch die Förderung digitaler Kompetenz in Verwaltung und Bevölkerung voraus.

3. Digitalisierung kann Entwicklungsmotor für ländliche Regionen sein

Der Zugang zu digitalen Infrastrukturen ist ein entscheidender Standortfaktor für viele Bürger und Unternehmen bei der Entscheidung sich innerhalb bestimmter Regionen niederzulassen. Durch den lange überfälligen Ausbau der Breitbandnetze auf dem Land, wird nun ein fundamentaler Infrastrukturnachteil für ländliche Kommunen abgebaut, der vielen Regionen neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Digitale Auftritte erhöhen die Sichtbarkeit ländlicher Gemeinden und stärken die gemeinsame Standortpolitik. Diese Sichtbarkeit fördert nicht nur die Attraktivität ländlicher Regionen für Touristen, sie ermutigt auch die „neue Landlust“ von jungen Familien, die sich ein Leben auf dem Land jenseits der Suburbanisierung vorstellen können, sowie den Zuzug von „jungen Alten“ jenseits der Pensionierung, für die das Älterwerden auf dem Land attraktiver wird.

Die digitale Transformation schafft eine stärkere Verflechtung zwischen Stadt und Land und ermöglichen neue Lebens-, Arbeits- und Unternehmensmodelle. Der Zugang zu Breitbandinfrastrukturen ist nicht nur Voraussetzung für die Ansiedlung von Unternehmen der IT- und Digitalwirtschaft im ländlichen Raum, er lockt auch Freiberufler aus der Kreativwirtschaft aufs Land und bietet Raum für neue Unternehmensmodelle, wie Maker Spaces und Erzeugergemeinschaften, oder die digital unterstütze Entwicklung der regionalen Kreislaufwirtschaft, die Stadt und Land stärker miteinander verbindet, z.B. in der Erzeugung und Vermarktung regionaler Lebensmittel, Produkten und Dienstleistungen.

Digitalisierung verändert auch die Lebens- und Arbeitswelt vieler Menschen. Für Berufspendler war das Modell „Arbeiten in der Stadt und Wohnen auf dem Land“ in der Vergangenheit oft mit langen Anfahrtswegen und der Abhängigkeit vom Automobil verbunden. Der Zugang zum Internet macht jedoch Wohnen und Arbeiten in vielen Branchen zunehmend ortsunabhängiger und flexibler. Telearbeit oder mobiles Arbeiten, Homeoffice und Co-Working Spaces ermöglichen es Menschen auf dem Land, Wohn- und Arbeitsort voneinander zu trennen ohne dabei große Nachteile im Alltag auf sich zu nehmen. Auch umgekehrt haben immer mehr Städter Zweitwohnsitze auf dem Land, die über reine Freizeitnutzung hinausgehen. Zwar ist noch immer Wohneigentum der vorherrschende Standard auf dem Land, aber es ist vorstellbar, dass in Zukunft ein Angebot an mehr Mietwohnungen in ländlichen Gemeinden zu einer höheren Bevölkerungsdynamik in verschiedenen Altersgruppen führen könnte.

Fazit

Digitalisierung als ein gesellschaftlich gestalteter Prozess, muss an die spezifischen Gegebenheiten, Eigenarten und die Bedürfnisse bestimmter Gemeinschaften angepasst sein, um positive Effekte auf die Akteure vor Ort zu entfalten. Digitalisierungsstrategien müssen sich an der Lebensrealität von Gemeinden und Regionen orientieren und lokale Akteure in Entscheidungen einbinden, um zur nachhaltigen Verbesserung von Entwicklungs- und Lebenschancen vor Ort beizutragen. Voraussetzung für das Gelingen dieser regionalen Integration sind langfristige Stadt-Land-Partnerschaften und eine auf Dauer angelegte interkommunale Kooperation und die gemeinsame Entwicklung von regionalen (auch digitalen) Strategien, die gesellschaftlichen und technologische Innovationen in lokale Zusammenhänge übersetzen.

Wenn Digitalisierung von verschiedensten Akteuren getragen und mitgestaltet wird, ist sie kein Selbstzweck, sondern stellt ein Mittel zur Erreichung konkreter Ziele und Lebensentwürfe dar. Politisch begleitet und gesellschaftlich getragen kann Digitalisierung neue Chancen eröffnen, bestehende Ungleichheiten und damit verbundene Ungerechtigkeiten zwischen Stadt, Umland und ländlichen Gemeinden zu entschärfen oder sogar zu beseitigen.

 

Für inhaltliche Fragen zu diesem Blog-Beitrag „Digitalisierung im Wandel der Stand-Land-Verflechtungen“ steht Ihnen die Autorin Sabine Barthold gerne unter sabine.barthold@tu-dresden.de  oder +49 (0)351 46337918 zur Verfügung.

Sabine Barthold

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